Herbert W. Franke – ein Leben zwischen zwei Kulturen

Herbert W. Franke (* 14. Mai 1927 in Wien; † 16. Juli 2022 in Egling) studierte dort Physik und Philosophie und promovierte 1951 in theoretischer Physik. Heute kennt man ihn nicht so sehr als Wissenschaftler, sondern als einen der bedeutendsten deutschsprachigen Schriftsteller des Genre Science Fiction oder auch als weltweit anerkannten Pionier algorithmischer Kunst. Sein geistiges Werk beruht gleichermaßen auf der Rationalität des Forschers und auf der Kreativität des Künstlers. Sein gesamtes Leben war vom Brückenschlag dieser „Zwei Kulturen“ geprägt. Dafür erhielt er 2018 von der Hochschule für Gestaltung die Ehrendoktorwürde.

Herbert W. Franke und die bildende Kunst

Schon während des Studiums begann er, sich für „bildgebende Systeme“ zu interessieren. Seine Dissertation zu einem Thema der Elektronenoptik gab den Anstoß, sich mit der Frage auseinander zu setzen, wie wissenschaftliche Bilder aus technischen Apparaten mit Kunst und Ästhetik zusammenhängen. Der damalige Hobby-Jazzer und -Fotograf war fasziniert von den kreativen Möglichkeiten, die der Einsatz solcher Maschinen für die Produktion ästhetischer Bildwerke bot. Er begann mit ersten künstlerischen Experimenten, nutzte Maschinen wie Oszillographen, um elektronische Kunstwerke zu erzeugen.

Als Vorreiter der maschinell erzeugten Kunst hat Herbert W. Franke im Lauf von 60 Jahren mit höchst unterschiedlichen Methoden und Geräten – von analogen Apparaten bis zu digitalen Rechnern - grafische Kunstwerke geschaffen. Er war in vielen Ausstellungen vertreten, darunter auch in der Biennale in Venedig 1970. Er wurde zum Mitglied des Wiener Künstlerhauses gewählt und war als Mit- Gründer der „ars electronica“ in Linz maßgebend an der Erfolgsgeschichte dieses weltweit einmaligen Kunst-, Medien- und Technologie-Forums beteiligt.

Neben der Produktion von Grafiken hat sich Franke schon früh mit der Konzeption bewegter Sequenzen befasst, wobei er sich speziell mit Fragen der Bild-Ton-Kompositionen auseinandersetzte. Dazu zählen beispielsweise das „Astropoeticon“ aus dem Jahr 1979, das gemeinsam mit dem Maler Andreas Nottebohm und dem Musiker Walter Haupt entstand, und die „Hommage à E. M.“ für die „artware“ 1989, ein „digitales Ballett“, in der eine Tänzerin mit ihrem elektronisch verfremdeten Spiegelbild tanzt, das sie durch die eigenen Bewegungen und durch den Gestaltungseingriff des Bildkünstlers erzeugt. Mit diesen und anderen Arbeiten hat Franke von den Anfängen an einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Multimediakunst geleistet.

Erst seit wenigen Jahren beginnt die „Kunst aus der Maschine“ auch traditionelle Museen als Zweig der modernen Kunst zu interessieren. Franke, der von Anfang an fest von der künftigen Bedeutung dieser Kunstrichtung überzeugt war, hat zudem eine weltweit einmalige Sammlung von Computergrafiken zusammengestellt, die 50 Jahre dieser Entwicklung mit Werken angesehener internationaler Künstler, ergänzt durch seine eigenen Arbeiten, dokumentiert. Der historische Teil dieser Sammlung ist vor kurzem in den Besitz der Kunsthalle Bremen übergegangen; dort wird sie im Jahr 2007 erstmals mit einer umfangreichen Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert werden.

 

Herbert W. Franke als Publizist und Literat

Als Physiker war Franke aufgrund seiner früh erkennbaren schriftstellerischen Begabung prädestiniert, Wissenschaft und Technik in populärer Form einer breiten Öffentlichkeit näher zu bringen. Ein großer Teil seiner 50 Bücher und ungezählten Zeitschriftenartikel gehört daher zur populären Sachliteratur; 1992 erhielt er den Karl-Theodor-Vogel-Preis für Technik-Publizistik. Franke hat sich aber auch schnell als literarischer Schriftsteller etabliert. Schon in den fünfziger Jahren veröffentlichte er seine ersten Werke, die in der angesehenen österreichischen Literaturzeitschrift „Neue Wege“ erschienen, in der auch Literaten wie H. C. Artmann und Ernst Jandl erstmals der Leserschaft vorgestellt wurden.

In seinen literarischen Arbeiten ist er den ihn interessierenden Themen treu geblieben, die traditionell nicht zum Repertoire eines Schriftstellers gehören: Themen an der Nahtstelle von Wissenschaft und Technik einerseits sowie Mensch und Gesellschaft andererseits. Da solche Wechselwirkungen gerade unter dem Aspekt künftiger Entwicklungen besonders gut herausgearbeitet werden können, wählte Franke dazu das Instrument der Science-Fiction. Dabei steht er jedoch weder in der Tradition Jules Vernes oder Hans Dominiks, die vor allem die technologische Zukunft voraussagen wollten, noch in der Linie amerikanischer Massenliteratur, die das Genre gern zu bloßen Abenteuern im Weltraum nutzt. Am ehestens kann man ihn in der Tradition europäischer Autoren wie der „Prager Phantasten“ um Kafka, Perutz und Meyrink ansiedeln, die er als Jugendlicher mit großer Begeisterung las.

In Frankes Romanen und Geschichten geht es nicht um die Vorhersage künftiger Technologien, auch nicht um die Prognose unserer künftigen Lebensweise, sondern vielmehr um die intellektuelle Auseinandersetzung mit möglichen Modellen unserer Zukunft und ihrer philosophischen wie ethischen Interpretation. Dabei ist Franke allerdings die Seriosität wissenschaftlicher oder technologischer Zukunftsabschätzung im Sinne einer Machbarkeitsanalyse von großer Bedeutung. Seiner Meinung   nach kann grundsätzlich nur auf dieser Basis eine ernsthafte und sinnvolle Auseinandersetzung über die künftigen Entwicklungen geführt werden. Insofern ist Franke kein typischer Vertreter der Science- Fiction, sondern eher ein Visionär, der sich als Romancier auf hohem intellektuellen Niveau mit relevanten Fragen der gesellschaftlichen Zukunft und der menschlichen Bestimmung auseinandersetzt.

Heute gehört Herbert W. Franke – gewähltes Mitglied des PEN-Clubs sowie der Grazer Autorenversammlung – zu den renommiertesten Autoren utopischer Literatur im deutschsprachigen Raum. Er war fünfzehn Jahre Autor des Suhrkamp-Verlags und hat nach der Reduzierung der „Phantastischen Reihe“, später erschienen mehrere Romane beim Deutschen Taschenbuch-Verlag dtv. Neben 21 Romanen und mehr als 200 Kurzgeschichten schrieb er zahlreiche Hörspiele, die in vielen Sendern ausgestrahlt wurden. 2016 wurde ihm von der European Science Fiction Society der Titel „European Grand Master of Science Fiction“ verliehen. Fast alle Romane sind inzwischen als E-Book bei Heyne neu aufgelegt, eine komplette Werkausgabe mit mehr als zwanzig Bänden erscheint derzeit im Verlag p.machinery – sowohl als Paperback als auch in einer limitierten, bibliophilen Hardcover- Ausgabe.

 

Herbert W. Franke und die theoretische Forschung

Eine Biografie von Herbert W. Franke wäre jedoch nicht vollständig, wenn sie nicht auch etwas zu seiner Tätigkeit als Wissenschaftler beitragen würde. Obwohl er nach seiner Promotion abgesehen von fünf Industriejahren bei Siemens stets freiberuflich tätig war, hat er wertvolle Beiträge zur Grundlagenforschung geleistet. Als „Privatgelehrter“, wie man ihn heute in unserem Wissenschaftsbetrieb kaum noch findet, hat er viele Jahre auf mehreren Spezialgebieten theoretisch gearbeitet und bemerkenswerte Arbeiten publiziert.

Er erkannte schon Mitte der fünfziger Jahre, dass der mathematisch definierte Begriff der Stetigkeit in der Wahrnehmung von Kunst eine ähnliche Bedeutung hat wie die Symmetrie. Als theoretischer Physiker, der vom Prinzip der Wechselwirkung in Systemen fasziniert war, befasste er sich früh auch mit Fragestellungen der Kybernetik. Sein besonderes Interesse galt dabei Fragen der Zusammenhänge von Wahrnehmungsprozessen und Kunst. In seiner bereits Mitte der sechziger Jahre veröffentlichten „rationalen Kunsttheorie“ beschrieb er die Wahrnehmung als Grundlage der Ästhetik und damit die Kunst als ein mit Hilfe der Informationstheorie erfassbares Konstrukt. Das Wirkungsschema beschrieb er in einem Flussdiagramm und führte die ästhetische Funktion der Emotionen auf eine rationale Grundlage zurück. Mit seinem „Mehrebenenmodell“ konnte er die Langzeitwirkung der Kunst erklären. Er legte weiter eine auf Zufallsprozessen im Gehirn beruhende Hypothese zur Kreativität vor, die auch ein Modell des Traums nahelegt. Auch hier war Franke als Kommunikationsinformatiker seiner Zeit einen Schritt voraus. Seine auf kybernetischer Grundlage erarbeiteten Vorstellungen sind erst jüngst durch neueste Erkenntnisse der Neurobiologie bestätigt worden. Seine weitsichtigen theoretischen Vorstellungen sowie seine Erfahrungen als Pionier der algorithmischen Kunst hat er auch in Lehraufträgen an der Universität München sowie an der Akademie der Bildenden Künste in München zwei Jahrzehnte lang an Studenten weiter gegeben.

Seit seiner Studienzeit befasste er sich zudem als Höhlenforscher mit Fragen der Entstehungsgeschichte von Karsthöhlen. Bei zahlreichen Expeditionen in alpine Höhlen fand er Gelegenheit zu Beobachtungen, die er dann in theoretischen Arbeiten verwerten konnte. Schon 1951 – nur zwei Jahre nach Libbys Entdeckung des natürlichen Radiokohlenstoffs als Mittel der Altersbestimmung organischer Substanzen – kam Franke zu dem überraschenden Schluss, dass diese Methode in einem wichtigen Spezialfall auch für die Datierung anorganischer Substanzen, nämlich für Höhlensinter, nutzbar sein müsste. Sein 1951 in den renommierten „Naturwissenschaften“ publizierter Beitrag stieß anfangs auf Skepsis und Ablehnung. Erst 1957 konnten Physiker der Universität Heidelberg in Zusammenarbeit mit ihm die praktische Durchführbarkeit beweisen. In den folgenden Jahren hat er die Methode gemeinsam mit Prof. Dr. Mebus A. Geyh vom damaligen Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung in Hannover systematisch auf Höhlensedimente angewandt, was erstmals zu exakten Angaben über das Alter von Tropfsteinen und zu physikalischen Messdaten für die zeitliche Einordnung end- und nacheiszeitlicher Klimaperioden führte. Heute ist die Methode für die Datierung des Höhlensinters etabliert und bildet für die Klimaforschung der ausklingenden Eiszeit einen wichtigen Baustein; so gehört Franke zu den Initiatoren der auf Isotopen gestützten paläoklimatologischen Forschung.

Schließlich gab er theoretische Gründe dafür an, dass zur Beschreibung der physikalischen Welt statt einer „Weltformel“ ein Programm gesucht werden sollte, und konnte auf der Basis zellularer Automaten einige grundsätzliche Eigenschaften eines solchen Programms aufzeigen. Sie betreffen auch      Frankes Überlegungen zu der Frage, inwieweit für solch ein Programm der echte Zufall eine Rolle spielt. Diese Erkenntnisse hat er in einem philosophisch-theoretischen Buch mit dem Titel „Das P- Prinzip“ 1995 veröffentlicht.

1980 verlieh ihm das Österreichische Ministerium für Unterricht und Kunst den Berufstitel Professor, 2007 erhielt er das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse.

2008 wurde Franke vom angesehenen Zuse-Institut Berlin ZIB zum Senior Fellow ernannt. Das dort initiierte Forschungs-Projekt „math goes art“ soll die Wechselwirkung von Mathematik und Kunst untersuchen, im Besonderen im Context dreidimensionaler Welten im Netz.

Mehr Informationen über Herbert W. Franke auf seiner eigenen Homepage und unter www.art-meets-science.info

 

Seine Kurzgeschichte(n) in EXODUS:

 

EXODUS 36 beschäftigt sich in mehreren Beiträgen von Andreas BrandhorstAndreas EschbachMichael HaitelHorst IllmmerKarsten KruschelGerd MaximovičHelmuth W. MommersFranz RottensteinerFrank Schätzing 
und Angela & Karlheinz Steinmüller ausführlich mit dem Autoren und zum Thema »90 Jahre Herbert W. Franke«. 
– Diese Ausgabe ist zurzeit auch noch als limitiertes Variantcover lieferbar!