Robots & Dragons zur neuen EXODUS 35:
Mahnende Geleitworte eröffnen die zweite „Exodus“ Ausgabe des Jahres 2016 und die insgesamt 35. Nummer wieder mit Graphiken, Lyrik und schließlich auch insgesamt neun Kurzgeschichten. Den Anfang und das Ende bilden zwei Kurzgeschichten von Sven Holly Nullmeyer. „Liebes Sternengefunkel“ als Ausklang der Ausgabe ist eine Satire auf die Konsumgesellschaft, übertragen in eine ferne und doch klar erkennbare Zukunft. Das verbindende Element mit der Auftaktstory „Mein geliebtes Kometenschweifchen“ ist die Idee, das diese bizarren Geschehnisse sich in einer Art Paralleluniversum abspielen.
Beide Geschichten sind in Briefform aufgesetzt, wobei die stilistischen Exzesse unabhängig von teilweise ein wenig sperrig beschriebenen Inhalt weniger auf eine „natürliche“ Korrespondenz hindeuten, sondern eher auf die Idee, die einzelnen Facetten sehr schwunghaft miteinander zu verbinden. Dabei wirkt die erste Geschichte ein wenig zu wirr, zu übertrieben angesetzt, während die pointierten Spitzen in der abschließenden, auch deutlich kürzeren Story besser treffen.
Eine der längsten Storys stammt aus der Feder von Arno Behrend. „Drachenreiter“ ist trotz des Titels keine Science Fantasy oder gar eine Fantasy Geschichte, sondern eine reine Science Fiction Geschichte, deren politische Zwischentöne eher rudimentär entwickelt worden sind. Die Grundidee mit dem unbekannten Flugobjekt, den potentiellen „Drachen“ im Orbit und der Säuberungsaktion wird solide ausgearbeitet. Die Figuren sind zugänglich charakterisiert, ihre Aktionen nachvollziehbar. Gegen Ende versucht der Autor ein wenig zu ambitioniert und vor allem für den Umfang der Geschichte zu abrupt den Handlungsbogen zu erweitern und dem Plot eine deutlich tiefere Bedeutung zuzuweisen als ursprünglich geplant, so dass der interessante Auftakt verwässert wird. Fabian Tomaschek präsentiert mit dem kompliziertesten Titel der 35. Exodus Nummer „Spectaculum Veritatis Homini“ eine der unterhaltsamsten Storys. Ohne zu viel von der Zwischenpointe zu verraten – der Autor liefert entsprechende Hinweise auf die Billigvariante seiner Prämisse in Kinofilmform – zeigt er die Folgen des ersten privat finanzierten erfolgreichen Marsflugs auf die zur Erde zurückgekehrte Crew. Eines der Besatzungsmitglieder bringt sich anscheinend abends durch Alkohol und einen Fall vor der U- Bahn um, ein anderes Mitglied leidet unter der Entfremdung seiner Ehe, während die anderen beiden Marsastronauten eher ambivalent den Ereignissen gegenüber stehen. Aus dieser Prämisse entwickelt sich ein kurzweilig zu lesender futuristischer Thriller durchaus auch um einen spektakulären Betrug. Während Arno Behrend gegen Ende seiner „Drachenreiter“ vielleicht zu weit ausholt, fügt Fabian Tomaschek die einzelnen Komponenten sehr geschickt wieder zusammen und versucht daraus eine kompakte, auch auf menschlicher Ebene überzeugende, aber auch pragmatisch abgeschlossene Story zu bauen, die kurzweilig gut unterhält.
Nicole Rensmanns „Du bist das Beste!“ ist eine dieser emotional solide und nachvollziehbar geschriebenen Geschichten um die genetische Perfektion des Nachwuchs und den entsprechenden Folgen. Nach einer interessanten Einführung inklusiv des Abstechers zu den Super 8 Familienfilmen kommt es zu einem inhaltlichen Bruch, der das weitere Schicksal eines Findlings beleuchtet, bevor die Autorin die Geschichte mit einem kleinen Paukenschlag auslaufen lässt. Wie einige andere Arbeiten dieser „Exodus“ Ausgabe leidet ihre Story vor allem unter dem fehlenden Raum, die Charaktere noch besser, dreidimensionaler und vor allem auch interessanter zu entwickeln, so dass ihre Schicksale den Leser nicht in dem Maße ansprechen, wie es sich gehört. Als Novelle könnte „Du bist das Beste!“ wahrscheinlich auf verschiedenen Ebenen funktionieren, während in der vorliegenden sehr kurzen Form der Leser dem Geschehen zu distanziert folgt.
„Du bist das Beste!“ ist die erste einer Reihe von Storys dieser Ausgabe, in welcher klassische, fast klischeehafte Themen der Science Fiction seit dem Zeitalter des Golden Age teilweise auf eine interessantere neue Art interpretiert werden. Ohne auf die Zwischentöne und damit einen Teil der Prämisse näher einzugehen kombiniert Frank Neugebauer in „Das grüne und das rosa Medaillon“ zwei Standardthemen der Science Fiction. Auch wenn die zugrunde liegende Idee extrem schwer in der Realität über einen langen Zeitraum umzusetzen ist, erscheinen die Leitplanken, welche der Autor entworfen hat, glaubwürdig. Kombiniert mit einer nicht planbaren Bedrohung erscheinen diese Halbpläne „B“ und „C“ aus dem Stehgreif improvisiert, aber anscheinend über einen langen Zeitraum gangbar. R. B. Bonteque nimmt die Invasion der Außerirdischen oder doch irgendwie Einheimischen auf einem von Menschen besiedelten Brückenkopfplaneten in „New Mars“ Mayflower zum Anlass, eine auf der einen Seite emotionale und zwischenmenschliche Geschichte zu verfassen, in der die Protagonisten auf der anderen Seite vor eine existentielle Entscheidung gestellt werden, deren Ausgang sie entweder zu kurzzeitigen Helden oder langfristigen Verrätern stempeln wird. Das Ambiente ist gut beschrieben worden, die Exploration nach außen nachvollziehbar und die fremden mit ihren gigantischen Raumschiffen exotisch genug. Nur komprimiert der Autor den Plot teilweise in mittleren Abschnitt so extrem, dass der Leser nicht den notwendigen Raum findet, um die einzelnen gut beschriebenen Zusammenhänge wirklich nachhaltig genug einordnen zu können.
Uwe Post präsentiert mit „Atmen, Smartgod“ eine seiner klassischen Satiren auf das „freie“ Internet, den Kult um die Smartphones und schließlich auch die immer kommerziellere Ausnutzung von Religion. Frech bis boshaft mit pointierten Dialogen und einer extrem komprimierten Handlung gehört diese kurze Kurzgeschichte trotzdem zu den besten Arbeiten dieser Ausgabe.
Gabriele Behrends „Suicide Rooms“ folgt Uwe Posts Satire. In nicht ferner Zukunft hat sich eine Firma etabliert, die legitimierten Selbstmord anbietet. Der Protagonist Günther Schmidt – vielleicht um seine perfekte Durchschnittlichkeit noch einmal zu betonen – entschließt sich sein gelangweiltes Leben zu verlassen und mit seiner professionellen Selbstmordbegleiterin Manuela seine letzten Tage inklusiv des perfekten Anzuges und des letzten Abendmahls zu planen. Auch wenn es ein „ernstes“ Thema ist, baut die Autorin es absichtlich zur satirischen Groteske aus, die beginnend mit Jules Vernes „Die Leiden eines Chinesen in China“ den vorgegebenen Mustern eines Mannes folgt, der plötzlich erkennt, dass er doch noch nur anders leben möchte. Allerdings verzichtet die Autorin auf die Konstruktionen des Franzosen und führt ihre Idee mit einer geschickten, aber nicht gebuchten Variation zu einem konsequenten wie zynischen Ende. Der Wunsch des Kunden ist sein abschließendes Himmelreich. Gut geschrieben mit doppeldeutigen Dialogen, Querverweisen auf das langweilig wie geordnete Leben und einem soliden zufrieden stellend Abschluss ist „Suicide Rooms“ einer der besten Geschichten dieser Ausgabe.
Die Galerie gehört mit Stas Rosin einem Graphiker, der nicht nur alle technischen Facetten beherrscht, sondern beginnend mit Ralf Bodemanns eloquenter, aber den Künstler zu wenig an sich vorstellender Einführung ein sehr breites Spektrum an auch politischen Themen streift. Dadurch wirken seine teilweise abstrakt komischen Zeichnungen – das Titelbild ist ein guter Indikator für die roten Fäden, die sich durch Stas Rosins Werk ziehen – zeitlos und weisen auf die politisch militärischen Probleme vor allem auch in seiner Heimat, der Ukraine, hin. Hinzu kommen wieder die guten Zeichnungen verschiedener Künstler, welche die einzelnen Storys begleiten. Neben den verschiedenen Arbeiten sind es die kleinen, nachdenklich stimmenden Satiren eines Kostas Koufogiorgos, welche dieses mal in Anlehnung an die einleitenden Worte die „Exodus“ Ausgabe in der Realität verändern, während der Leser bei einigen der Texte bis auf Uwe Posts Satire die kritischen Töne vergangener Nummern vermisst. Die Lyrik Sektion besteht nur aus Victor Bodens „abgespeichert“. Zusammengefasst präsentiert sich „Exodus“ 35 als grundsolide Ausgabe mit gut lesbaren, aber nur einzelnen wirklich herausragenden Texten, in welcher die Galerie dieses Mal der visuelle Höhepunkt ist.
Thomas Harbach
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