Der SFCD berichtet im aktuellen Nachrichten-Magazin:
»Eine weitere Ausgabe von Exodus, die 3/2015, ist erschienen. Wobei diese Nummerierung wohl für den Kalendermonat des Jahres steht und nicht für die Anzahl der erschienenen Ausgaben per Jahr. Das Titelbild gestaltete Alexander Preuss, von dem in diesem Heft auch die umfangreiche, 18-seitige und vierfarbige Galerie stammt. Es ist ansprechend, als umlaufendes Titelbild über Front- und Backcover ausgeführt. Ein Hingucker, nicht zuletzt auch wegen der wohlproportionierten Frau, in – sagen wir mal – suboptimal praktischer Kleidung. Und damit ungefähr so realistisch, wie die TV-Spielfilm-Titelbilder, bei denen, seit Jahr und Tag, die abgebildeten Schauspielerinnen so glatt retuschiert werden, dass keine Hautpore mehr sichtbar ist. In der Galerie selbst zeigen die stimmungsvollen Landschaften eine beeindruckende Bandbreite. Die einzigen Wermutstropfen sind die Abbildungsgröße und die Grenzen des Vierfarbdrucks. So ist oftmals in den Tiefen keine Zeichnung mehr erkennbar.
Der generelleren Linie bleiben die Exodus-Macher treu. Zitat aus dem Editorial: „EXODUS 32 präsentiert einmal mehr ausgewählte Erstveröffentlichungen. Phantastische Kurzgeschichten, ebenso Lyrik, deren Themenvielfalt für jeden literarischen Geschmack etwas bietet.“ Nicht zu vergessen die Kurzcomics von Kostas Koufogiorgos, die passenderweise in der Rubrik Comic & Karrikatur aufgeführt werden. Mit Countdown und Begegnung präsentiert er einen Jesus am Kreuz, der in Raketenmanier – 4…3…2…1 – in den Himmel aufsteigt und einen zweiten, der wie ein Fels im Wasser steht, vor dem Periskop eines verdatterten U-Boot-Fahrers. „Astro-Alex“ schließlich zeigt uns, wie ein Deutscher in einer russischen Raumstation nach dem Gelben Sack jammert und den korrekten Andockwinkel beklagt. Die Rache für Deutschlands rollenden Finanzminister?
Nach diesem Einstieg ist es Zeit, sich der schreibenden Zunft in Exodus zuzuwenden. Den Anfang macht Tom Turtschi, ein Autor aus dem Ricola-Land, der mit „Huhn oder Ei“ die Zukunft der Raumfahrt skizziert. Nicht ohne vorher kräftig über das Genre abzulästern. Kostprobe gefällig? Gerne doch: „Leider können sich Sci-Fi-Autoren nicht verkneifen, die Langeweile breitzutreten. In geschwätzigen Epen füllen Sie Regale und die Leere der Tablare mit gigantischen Raumschlachten, mit mittelalterlichem Fummel, lassen Jedi-Ritter mit Laserschwertern rumalbern oder noble Weise mit magischen Kräften giftgrüne Aliens bannen.“ Gut, dass uns das mal gesagt wird, von selbst wären wir wohl nie darauf gekommen. Als Konsequenz des Ganzen ist sein Held auch kein edler Recke, der Abenteuer zu bestehen hat, sondern ein Frachterpilot, dessen größter Aufreger die fade Küche an Bord ist. Seine Tätigkeit gleicht der eines Straßenbahnführers, jedoch ohne aufreibenden Verkehr und gestresste Passagiere. Man fliegt zum Proxima Centauri, verschläft den Flug und wird zur Ankunft wieder geweckt. Alles könnte so schön sein, würde man nicht auf halber Strecke aufwachen obwohl der Wecker noch gar nicht geklingelt hat. Was für eine Sauerei! Denn da draußen, auf halber Wegstrecke, da ist nichts. Aber warum hat man eine dicke Beule an der Stirn? Und warum behauptet der Bordcomputer, nichts von einem Aufwecken zu wissen? Fragen über Fragen! Die Antworten darauf gibt Tom Turtschi. Auch wenn man als Leser ahnt, wo der Bartel den Most holt, lässt einen die Erzählung schmunzelnd zurück. Das sagen wir mal „zwei Daumen hoch“, auf der Skala von zweien.
„Io ruft“ von Manfred Horch, erinnert ein wenig an die Folge „Operation Ganymed“ aus der Reihe Das blaue Palais von Rainer Erler. Schon der Einstieg ist dramatisch: „Der große Schock kam genau zwanzig Tage vor Europa“. Gemeint ist der Jupitermond Europa. Das Zweitraumschiff, das die Mission mit der notwendigen Bohrausrüstung versorgen sollte, kam vom Kurs ab und driftete aus dem Sonnensystem. Also keine Chance, den dicken Eispanzer von Europa zu durchbohren und nach extraterrestrischem Leben zu forschen. Darin könnte man ein böses Omen sehen. Und wahrlich, das ist noch untertrieben: „Umpadu … Nocello schrie nicht nur, er begann auch am ganzen Leib zu zittern und zu zucken. Blutiger Schaum trat zwischen seinen bebenden Lippen hervor. Ich kenne Filmaufnahmen von Drogensüchtigen mit heftigsten Entzugserscheinungen, die einem durch Mark und Bein gehen, aber das, was direkt vor mir geschah, war auf eine seltsame Art schlimmer.“ Der Bordarzt, aus dessen Sicht die Raumfahrtmission geschildert wird, beginnt neugierig in der Datenbank des Raumschiffes zu recherchieren. Dort stößt er auf „Umunpaddu“, Jupiters Bezeichnung im sogenannten Cthulhu-Mythos, den ein amerikanischer Schriftsteller namens H. P. Lovecraft, in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts verfasste. Düstere Prosa und ebenso düster ist die weitere Entwicklung der vorliegenden Story. Manfred Horch baut konsequent Spannung auf bis zum erwarteten Paukenschlag und Höhepunkt. Er eifert seinem Vorbild nach und auch die Illustrationen von Jan Hoffmann geben die Stimmung wieder. Wer den passenden Rahmen sucht, hier ein Vorschlag: Am prasselnden Lagerfeuer einer Horde Pfadfinder vorlesen. Unruhiger Nachtschlaf ist diesen daraufhin garantiert.
„Dero neuwwe Farb des Keunigs oder sie nahmen unns Spra!“ ist von Frank Neugebauer. Und nein, beim Titel der Kurzgeschichte (von den Herausgebern in die Lyrik-Sektion einsortiert) hat nicht die Rechtschreibkorrektur zugeschlagen. Das muss so. Aufmachung und Schreibweise sind eigenwillig. Immer wieder fehlen Vokale und man ist gezwungen, sich aktiv mit der beschriebenen Handlung auseinanderzusetzen. Als „Bericht eines Überlebenden“ zeichnet Frank Neugebauer die Invasion der außerirdischen Trox, vom Sternbild Virgo nach, die nicht nur militärisch erobern sondern den Menschen auch die Sprache nehmen. Eine interessante Idee, die auf der These basiert, zerstöre die Kommunikation deines Feindes und er ist nicht mehr in der Lage, Widerstand zu leisten, weil weder Strategien noch Angriffspläne aufeinander abgestimmt und durchgeführt werden können. Würden Invasoren einen EMP (elektromagnetischer Puls, z. B. Kernbombe in großer Höhe) auslösen, wären sämtliche, auf digitaler Basis arbeitenden Geräte dauerhaft zerstört. Frank Neugebauers Ansatz ist noch sehr viel radikaler: Keine Sprache, keine Kommunikation, kein zielgerichteter Widerstand – vorausgesetzt die beschriebenen Außerirdischen haben die Fähigkeit, das zu bewerkstelligen. Einziger Schönheitsfehler dabei, die Lektüre ist anstrengend. Am besten in entspannter Atmosphäre, zum Beispiel am Sonntagnachmittag, zum Kaffee auf der Couch.
„Träumen Putzroboter von elektrischen Besen?“ fragt Uwe Post. Jedenfalls liefert die Headline eine Andeutung, von welchem Thema seine Kurzgeschichte handelt. Am Beginn steht Edith, die humanoide Putzandroidin, die der Held unserer Geschichte auspacken darf. Ja, darf, denn das Modell Yvonne lässt seine Ehefrau nicht zu. Zu hübsch. Deshalb lehnte sie dieses ab, mit der einleuchtend weiblichen Begründung: „aus Gründen, die du nicht verstehst, du bist schließlich ein Mann.“ Armer Männe, so unter dem Pantoffel, doch er tröstet sich mit dem Gedanken, besser als jeden Samstag selbst das Klo zu schrubben. Außerdem, kann man eine Edith ja „modden“. Ein kleiner, hm, halblegaler Software-Download, Edith darf sich vorbeugen und „der Herr im Haus“ macht sich an ihrer hinteren Hardwareausstattung zu schaffen. Blöd nur, dass die bessere Hälfte nicht auf den Kopf gefallen ist und ihm an den Kopf wirft „Du betrügst mich mit unserer Putzhilfe!“ Tja, was soll man da entgegnen? Vielleicht ein „Sie ist eine Maschine. Genau wie der Dildo in deiner Nachttischschublade…“ Aua, ganz falsche Antwort. Ruckzuck ist die Ehefrau zuerst im Gästezimmer und anschließend bei ihrer besten Freundin. Zu allem Überfluss hat Edith auch noch ein Macke, einen Besentick. Einen Fehler in der Synapsensimulation. Leider irreparabel, so dass der Hersteller eine Yvonne als Austausch schickt. Juhuu, ein Upgrade! Wie die ganze Erzählung schlussendlich in das vierte Robotergesetz mündet, warum die menschliche Zivilisation von Historikern der Human-Archäologie betrachtet wird, zehn Absätze dieser EXODUS-Erzählung in „Lila“ gesetzt sind und was wohl ein Isaac Asimov davon halten würde, erfährt der geneigte Leser wenn er sich selbst darin vertieft. Doch Vorsicht, etwas abgedreht ist Posts Erzählung schon und Erheiterung und Kicherlaute sind nicht auszuschließen.
„Mensch2“ titelt Uwe Hermann und stellt sich – und uns – die Frage, wieviel Implanatate braucht der Mensch? Wo ist Schluss, wenn ein Unternehmen wie ImplanTex damit gigantische Umsätze erwirtschaftet? Die Google-Brill ist Nippes im Vergleich zu dem, was ImplanTex zu bieten vermag. Künstliche Gliedmaßen in Armen und Beinen, die erheblich leistungsfähiger sind, hochauflösende Kameras, die bei Dunkelheit besser sehen als Katzenaugen. Aufzeichnungschips im Gehörgang oder ein integriertes GPS-Modul. Doch wer sich, wie der Protagonist dieser Story, mit Haut und Haaren der Technologie verschrieben hat und das auch noch mit einem 5-Jahres-Vertrag, der hat schlechte Karten, wenn er wieder aussteigen will. Man könnte auch sagen, die Marketingabteilung von ImplanTex „was not amused“. Erstaunlicherweise häufen sich jetzt die Softwareaussetzer und fürsorglich verfrachtet man das menschliche Aushängeschild in einer Spezialklinik. Noch Fragen?
Wie wäre es mit etwas, das beginnt wie ein klassische Space Opera? Das „Ding“ taucht plötzlich aus dem Nichts aus Richtung Sonne auf und geht in einen Parkorbit. Treffenderweise nennt Autorin Jacqueline Montemurri ihre Erzählung „Koloss im Orbit“. An diesem Thema arbeitete sich auch schon Arthur C. Clarke ab. Für die Journalistin Dysti Adams ist das Auftauchen des Fremdkörpers im Sonnensystem zuerst der Scoop ihres Lebens. Doch irgendwann, nachdem der Weltuntergang nicht stattfindet und keine kleinen grünen Männchen herauskrabbeln, ebbt das Interesse der Erdenbewohner ab. Wie schon bei Tschernobyl oder Fukushima. Dasselbe geschieht auch mit Dystis Karriere. Beruflicher Abstieg, Tablettensucht und Cybertravelling schließen sich an. Da jedoch klopft Conny-Industries an die Tür. Ein Job-Angebot, das wundersamerweise mit dem Koloss im Orbit zu tun hat. Nachdem ein halbes Jahrzehnt verstrich, es nicht gelang, das Ding zu durchleuchten und das Interesse von Politik und Öffentlichkeit abflaute, schlug der Konzern zu und sicherte sich die Verwertungsrechte an dem Koloss. Eine vierköpfige Gruppe soll mit einem Shuttle hinauffliegen und in das Innere eindringen.
Alle vier Mitglieder des zusammengestellten Teams haben einen reichlich verkorksten Lebenslauf gemeinsam. Nicht gerade die strahlenden Helden. Dafür aber billig. Denn ein Ablehnen kann sich keiner der Beteiligten leisten. Also starten sie in eine Mission, die von Anfang an unter keinem guten Stern steht. Was sie entdecken? Na, Außerirdische sind es jedenfalls nicht.
Insgesamt präsentieren die Exodus-Macher in dieser Ausgabe neun Erzählungen. Ob die Einordnung von Frank Neugebauers „Dero neuwwe Farb…“ in die Lyrik-Sektion gehört, sei dahingestellt. Für mich hat der Beitrag deutlich mehr erzählenden Charakter. Wie erwartet bewegen sich die Kurzgeschichten auf gewohnt hohem Niveau, unabhängig davon, ob es sich um bekannte Autoren oder Newcomer handelt.
Einen Sekundärbeitrag, wie von Franz Rottensteiner in der Ausgabe 31, gibt es dieses Mal nicht. An und für sich schade, dass EXODUS diesen Bereich brachliegen lässt. Schon klar, dass die Herausgeber mit dem Zusammenstellen, dem Redigieren und der Produktion des Heftes mehr als gut ausgelastet sind. Deshalb jetzt mal ein Tipp vom Außenstehenden: Verfügt man nicht selbst über die Ressourcen, dann könnte man auch kooperieren. Auf dem Dortcon hatte das „Phantastische Quartett“ aus München seinen Auftritt und präsentierte „Perlen der Science Fiction“. Begründete Empfehlungen zu lesenswerten Romanen, Trilogien oder Anthologien. Das Quartett könnte statt seine Beiträge im eigenen Fanzine !Xaver herauszugeben, in EXODUS publizieren. Das wäre für beide Seiten eine Win-Win-Situation. EXODUS kommt an kompetente Sekundärbeiträge und das Phantastische Quartett erhält eine exzellente Veröffentlichungs-Plattform und erreicht eine höhere Zahl interessierter Leser. Nur mal so – als Idee.
Und zum Schluss noch das persönliche Erfolgserlebnis. Mein Drängen in Sachen „Personalia“ bei den Rezensionen zu EXODUS 29 und 31 zeigte Wirkung. Erste Musterseiten für eine Integration der Autoren- und Zeichner-Vitas bei den entsprechenden Beiträgen wurden wohlwollend zur Kenntnis genommen. Eine Umsetzung war in der laufenden Produktion des 32er-Heftes jedoch nicht mehr zu realisieren. Da heißt es warten auf die Ausgabe 33. Die Wartezeit bis dahin können die Freunde der Kurzgeschichte mit der Lektüre der vorliegenden Ausgabe überbrücken.«
Günther Freunek
in Andromeda Nachrichten 250
(SFCD e.V., Januar 2015, 100 Seiten A4, EUR 8,00 - ISSN 0934-3118 - Bezug: archiv@sfcd.eu)